Die Atmung
Die Atmung ist zweifellos die wichtigste, weil lebensnotwendigste aktive muskuläre Bewegung von Mensch und Tier! Ohne diese Tätigkeit wären wir in kürzester Zeit tot. Die Atmung ist, wie das Leben selbst, kein Gefäß, in welches wir möglichst viel hineinstopfen können, sondern ein Prozess, der aus einem ständigen Wechsel lebt. Die Ausatmung ist ebenso wichtig wie die Einatmung! Entspannung bekommt einen ebenso wichtigen Stellenwert wie Anspannung. Bei der Atmung passiert folgendes:
Die Lunge befindet sich im Brustkorb, sie liegt sozusagen oberhalb des Zwerchfells auf. Bei der Einatmung wird die Lunge von Atemmuskeln auseinander gezogen, der Bauch wölbt sich nach außen hervor und die darunter liegenden Organe werden zusammen gedrückt, bei der Ausatmung nehmen die Organe wieder ihre ursprüngliche Lage ein, der Bauch sinkt nach innen. Das Zwerchfell ist also ein großer Muskel, kein Fell, es ist der Hauptatemmuskel. Es ist ein unwillkürlich arbeitender Muskel, der also den Brust- vom Bauchraum trennt und maßgeblich an der Atmung beteiligt ist. Bei jedem Atemzug leistet das Zwerchfell effiziente Arbeit, durch welches es uns Menschen überhaupt erst möglich ist, auch das Lachen auszuüben.
Dieser Muskel bildet also eine schräge Platte, die quer im Körper liegt und den Brustraum vom Bauchraum trennt. Oberhalb des Zwerchfells, mit diesem verbunden, also im Brustraum, der vom Brustkorb umgeben wird, befinden sich Lunge und Herz, die praktisch ein Organ darstellen, da sie über den kleinen Blutkreislauf miteinander verbunden sind. Unterhalb des Zwerchfells, also im Bauchraum, befinden sich die übrigen Organe, also Magen, Leber, Bauchspeicheldrüse, Darm, Milz, Blase, Eierstöcke, Uterus. Wenn man mit den Fingern an den Rippen entlang geht und nach innen gegen die unterste Rippe drückt, drückt man gleichzeitig auf die Ansätze des Zwerchfells. Den schrägen Verlauf kann man daran erkennen, dass die Rippen nach hinten immer weiter hinunter reichen.
Wenn man einatmet, zieht sich das Zwerchfell zusammen, wandert dabei ein Stück nach unten und schiebt damit die Baucheingeweide (Leber, Magen, Darm etc.) nach unten und vorn. Dadurch kommt der Bauch beim Einatmen heraus, jedenfalls dann, wenn die Bauchmuskeln locker sind, sich also entspannen können. Gleichzeitig spannen sich die externen Zwischenrippenmuskeln (die wie ihr Name sagt, zwischen den Rippen liegen) an und heben damit den Brustkorb an und weiten ihn (nach vorn, zur Seite und nach hinten). Durch diese Bewegung des Zwerchfells und der äußeren Zwischenrippenmuskeln entsteht in der Lunge ein Unterdruck wodurch die Luft hinein gesogen wird.
Wenn man ausatmet, entspannt sich der Zwerchfellmuskel, während die Bauchmuskeln und die internen Zwischenrippenmuskeln sich anspannen. Durch die Anspannung der Bauchmuskeln drückt es die Eingeweide wieder nach innen und nach oben in das Zwerchfell hinein, das in entspannten Zustand eine Kuppel nach oben bildet. Dadurch wird die Lunge von unten zusammen gedrückt. Durch die internen Zwischenrippenmuskeln wird die Lunge auch von vorn, seitlich und hinten zusammen gedrückt und der Brustkorb senkt sich. Durch die Anspannung von Bauch- und internen Zwischenrippenmuskeln entsteht in der Lunge ein Überdruck und die Luft wird herausgedrückt.
Wie man sieht, spannt sich beim Einatmen ein Teil der Atemmuskeln an und der andere entspannt sich. Beim Ausatmen wechseln die Rollen, die vorher entspannten Muskeln spannen sich an, die vorher angespannten Muskeln entspannen sich.
Außer den eben erwähnten Muskeln spielen bei der Atmung noch einige andere Rumpf-Muskeln eine Rolle, die sich ebenfalls abwechselnd kontrahieren und entspannen müssen. Daher sieht man, wenn die Atmung o. k. ist, wie sich der gesamte Rumpf bewegt, die Atembewegung geht sozusagen bis in den Beckenboden hinein.
Die Atmung wird für gewöhnlich unbewusst gesteuert, das heißt sie wird vom Gehirn gesteuert, die nicht unserer bewussten Kontrolle unterliegen. Da die Atembewegung aber durch unsere normale Skelettmuskulatur erfolgt, können wir sie wie jede andere Bewegung dieser Muskeln auch, bewusst steuern. Wir können also zum Beispiel bewusst tiefer oder schneller atmen oder bewusst nur in den Bauch oder Brustkorb atmen (wenn die Verspannung nicht zu groß ist).
Dadurch, dass wir unsere Atmung auch bewusst steuern können, können wir auch bewusst auf unser Befinden, wie auch unsere Herztätigkeit Einfluss nehmen. Wenn man zum Beispiel bewusst tief und langsam ausatmet, z.B. auf /fff/, kann man sich selbst beruhigen, sodass man sich tatsächlich innerlich ruhiger fühlt und das Herz auch – messbar – langsamer schlägt. Bitte ausprobieren !!! Man kann dies auch als Einschlaftechnik nutzen.
Abhängigkeit der Atembewegung von inneren und äußeren Reizwahrnehmungen, Erwartungen, Vorstellungen und Bewertungen
Die unwillkürliche Steuerung der Atmung ist von einer ganzen Reihe von inneren und äußeren Reizwahrnehmungen abhängig, die uns zum Teil bewusst werden, zum Teil nicht. Zum Einen wird sie durch die Bewegung und den Kraftaufwand, das heißt den Bedarf des ganzen Körpers gesteuert. Dies sind innere Reize, die uns nicht bewusst werden und auch nicht bewusst werden können. Zum Anderen wirkt auch die Wahrnehmung chemischer und physikalischer Reize, die uns bewusst werden können, auf die Steuerung der Atembewegung. So verändert sich die Atmung zum Beispiel bei Hitze- oder Kälteempfindungen, bei Gerüchen und bei allem, was wir an Angenehmem oder Unangenehmen sehen, spüren, schmecken, riechen oder hören.
So stockt sie z.B. bei Schreck oder bei plötzlich auftretenden lauten Geräuschen. Sie vertieft sich bei angenehmen Düften, engt sich ein bei unangenehmem Geschmack. Man kann sagen, sie ist ein Gradmesser, ob wir etwas in uns aufnehmen möchten. Auch gibt es Abfolgen von Drosseln und Lösen der Atemmuskulatur. Wir halten bei spannenden Vorgängen die Atmung an und lösen sie abrupt, wenn die Dinge für uns oder andere, mit denen wir uns gerade identifizieren, eine gute Wendung nehmen. Mit der Rettung des Helden in einem spannenden Film ist oft allseits ein erleichtertes Aufatmen zu hören. Auch beim Atmen gibt es „dumme Angewohnheiten“, z.B. immer die Luft anzuhalten, sobald man sich anstrengt oder auch nur konzentriert.
Unsere Stimmung kann man an unserer Atmung ablesen. So atmen wir z.B. schnell, wenn wir erregt sind (egal, ob freudig, ängstlich, wütend..), wir atmen tief und langsam, wenn wir liebevoll z.B. zu einem Baby sind oder uns das vorstellen. Beim Aufkommen einer negativen Vorstellung stockt uns der Atem. Probieren Sie es aus: denken Sie einmal intensiv an etwas Unangenehmes, z.B. an einen Unfall auf der Autobahn und achten Sie dabei auf Ihre Atmung.
Umgekehrt gilt aber auch: wie wir die Welt und uns selbst erleben und bewerten, ist auch vom Zustand unserer Atemmuskulatur und dem sie umgebenden Bindegewebe abhängig. Ist die Atmung eingeengt, empfinden wir Furcht und Unlust, weshalb wir dazu neigen, in einem unguten Zustand zu verharren oder uns vor allem und jedem zurück zu ziehen, nichts erscheint uns attraktiv. Ist die Atmung frei, empfinden wir eher Freude, Lust etwas zu tun, uns zu bewegen, auf etwas oder jemanden zuzugehen, etwas zum Positiven hin zu ändern. Wir sagen dann: „Es fällt ein Stein vom Herzen.“ „Es geht einem das Herz auf.“ „Man könnte die ganze Welt umarmen!“ Es ist daher ganz erstaunlich zu beobachten, wie Menschen nach einer Lockerung und Befreiung ihrer Atemmuskulatur die Welt verändert erleben, sich anders verhalten und von sich aus oft große Änderungen in ihrem Leben vornehmen, ohne dass man je mit ihnen darüber gesprochen hat.
Jede Emotion hat ihr eigenes Atemmuster. Oder anders ausgedrückt: Je nach Atemmuster empfinden wir eine andere Emotion. So findet z. B. bei Wut (dem oft hörbaren Wutschnauben) eine Verstärkung der Aus- und vor allem der Einatmung statt, kräftige Atemzüge folgen schneller aufeinander, die Atempause verschwindet, die Atmung wird etwas unregelmäßiger. Bei Angst wir die Atmung sehr beschleunigt, die Pausen fehlen, der Ablauf wird chaotisch ungleichmäßig und es wird insgesamt mehr eingeatmet als ausgeatmet. Bei Zärtlichkeit werden die Atemzüge länger und tiefer, die Pause vergrößert sich. Der Charakter der übrigen Bewegungen entspricht dabei den Atembewegung, z.B. das Aufstampfen oder auf den Tisch hauen bei Wut oder langsame Berührungen (um jemanden zu beruhigen).
Da unsere Stimmung so sehr von unserer Atmung abhängt, können wir auch umgekehrt durch Beeinflussung unserer Atmung auf unsere Stimmung einwirken, uns zum Beispiel durch langsames, gleichmäßiges, ruhiges Atmen mit verlängerter Ausatmung in einen Zustand der Gelassenheit versetzen. Das ist etwas anderes als das Unterdrücken des Gefühlsausdrucks, z.B. von Wutäußerungen oder von Weinen. Wenn wir „an uns halten“, drosseln wir das zu der Emotion gehörige Atemmuster, indem wir Muskeln dagegen spannen. Die Unterdrückung von Gefühlsausdrücken mündet also in Dauerkontraktion von Atem- und sonstigen Muskeln, während Gelassenheit mit gelockerter Atem- und sonstiger Muskulatur einhergeht.
Es gibt offensichtlich auch einen engen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Atemmuskulatur und damit der Stimmung und der Mimik, also der Tätigkeit der Gesichtsmuskulatur. Daher können wir jemandem die Stimmung an der Stimme beim Sprechen anhören und sie am Gesicht ansehen.
Wir können an uns selbst beobachten, dass der Bauch sich festmacht und damit die Atmung sich einengt, wenn wir die Stirn in senkrechte Falten legen (bitte selbst ausprobieren). Umgekehrt können wir merken, dass ein Lächeln, ein Hochziehen der Mundwinkel die Atemmuskulatur öffnet und das Atmen damit leichter macht (bitte selbst ausprobieren!). Daher fühlen wir uns wohler, wenn wir lächeln. Wenn wir also erleichtert aufatmen, passt ein Lächeln dazu, kein Stirnrunzeln. Wenn wir dagegen die Lippen zusammen pressen anstatt mit ihnen zu lächeln, oder wenn wir die Mundwinkel nach unten ziehen, ergibt sich automatisch eine Spannungserhöhung und damit eine Atemeinschränkung in der Bauchmuskulatur (bitte selbst ausprobieren). Dadurch fühlen wir uns unwohl. Die Mimik hat natürlich wie die Gestik, die Haltung und die Stimme auch einen kommunikativen Wert. Durch die Propriozeption der Veränderungen in der Atemmuskulatur können wir unsere Stimmung selbst wahrnehmen und sie gleichzeitig via mimischer Muskulatur für andere sichtbar und via Stimme, auch hörbar machen.
Wir neigen alle gern dazu, unsere Atembewegungen und damit auch unsere Emotionen zu synchronisieren. Daher wirken Gefühle ansteckend. Schenkt uns jemand ein Lächeln, schenkt er uns in Wirklichkeit die Gelegenheit, zurück zu lächeln und damit unsere Atemmuskeln so zu bewegen, dass wir uns wohler fühlen. Ist umgekehrt jemand in unserer Nähe depressiv, müssen wir Obacht geben, nicht ebenfalls die Atmung zu drosseln und in Erstarrung zu verfallen. Und wenn es uns vielleicht auch ungehörig vorkommen mag in Gegenwart eines depressiven Menschen zu lachen und zu scherzen und unser Mitgefühl evtl. dadurch zeigen, dass wir "auf diesen Zug aufspringen", können wir unserem Gegenüber auch durch unsere Atmung evtl.ein wenig "Erleichterung" verschaffen.